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Rätselhafter Tod: Staatschef Turgut Özal starb 1993, der heutige Amtsinhaber Abdullah Gül veranlasste die Obduktion.

Foto: Reuters/Saribas

Der Verdacht richtet sich gegen die Armee, die Tests laufen.

 

Er kam vom Empfang in der bulgarischen Botschaft zurück und wollte kein Abendessen mehr. Eine Limonade sei ihm serviert worden, sagte er, so erinnert sich seine Frau. Dabei mochte Turgut Özal keine Kracherl. Kurz darauf brach der türkische Staatschef zusammen. Noch in derselben Nacht starb er im Spital in Ankara - an Herzversagen, hieß es. Fast 20 Jahre später liefert die Obduktion der Leiche angeblich einen ganz anderen Befund: Gleich vier Giftstoffe sollen in Özals Körper gefunden worden sein.

Es könnte damit die größte politische Affäre in der Nachkriegs geschichte der Türkei sein - die Ermordung des Präsidenten, organisiert von Armee oder Geheimdienst. Sie hatten damals mit Argwohn Özals Bemühungen um Frieden mit der PKK verfolgt.

Radioaktives Polonium und Americium sowie Kadmium und das lange schon verbotene Insektenbekämpfungsmittel DDT seien in Özals Überresten gefunden worden, meldete die regierungsnahe Zeitung Today's Zaman am Wochenende unter Berufung auf die staatliche Forensik-Behörde in Ankara. Spuren von DDT seien bei den Tests in zehnfach höherer Dosis als normal erwartbar nachgewiesen worden, schrieb die Zeitung. Das Insektenmittel war in den 1980er-Jahren in der Türkei verboten worden. Özal starb am 17. April 1993. Der plötzliche Tod des damals 65-Jährigen fiel in eine Zeit politischer Morde in der Türkei und löste sofort Spekulationen aus.

Özal soll von seinem damaligen Chefberater im Präsidialamt, Kaya Toperi, zum Besuch des Cocktailempfangs in der bulgarischen Botschaft überredet worden sein. Dort habe man ihm die Limonade mit dem Hinweis überreicht, sie sei nur für ihn zubereitet worden; Özal trank als gläubiger Muslim keinen Alkohol. "Ich konnte nicht Nein sagen und habe sie getrunken", erklärte er später am Abend seiner Frau Semra.

Der Ambulanzwagen des Präsidialamtes stand an jenem Abend seltsamerweise nicht zur Verfügung. Özal wurde, gestützt auf seine Mitarbeiter, zu seinem Dienstwagen gebracht und ins Spital gefahren. Nach seinem Tod wurde keine Obduktion durchgeführt.

Distanz zu den Generälen

Özal gilt als bedeutender Reformer, der die liberale Marktwirtschaft in der Türkei vorantrieb. Der Ingenieur und Bürokrat war vom Militär nach dem Putsch 1980 zunächst als Vizepremier eingesetzt worden und regierte dann als gewählter Premier bis zu seinem Wechsel ins Präsidentenamt 1989. Dabei befreite er sich nach und nach von der Umklammerung durch die Generäle.

Einer seiner Berater im Präsidialamt, der heutige einflussreiche Kolumnist der liberalen Tageszeitung Radikal, Cengiz Candar, berichtet in einem neuen Buch über Özals Pläne für einen Frieden mit der PKK. Der Präsident stand demnach kurz davor, eine Amnestie für die Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei zu erlassen, vorbei an Regierung, Parlament und vor allem der Armee, die an allen Fronten Krieg gegen die Untergrundbewegung führte. Sollte die Armee aber hinter einem Giftmord an Özal stehen, wie informierte Kreise der konservativ-muslimischen Regierungspartei AKP seit langem suggerieren, wäre ihre Diskreditierung vollkommen. (Markus Bernath /DER STANDARD, 26.11.2012)